„Fotografie und Kunst in Berlin – Umgang mit dem Mangel“
Teil Zwei
von Alexander Platz

Im ersten Teil meiner Reportage über den Mangel an bezahlbaren Flächen für FotografInnen und KünstlerInnen in Berlin sprach ich mit KünstlerInnen.

Mich interessieren aber immer verschiedene Perspektiven. So verabredete ich mich mit Nadine Dinter von Nadine Dinter PR.

Wer ist Nadine Dinter? 

Ihr Lebenslauf weist eine Vielzahl erfolgreicher und spannender Stationen auf.

Ich zeige hier nur einen kurzen Abriss.

Nach ihrem Abschluss als PR-Beraterin ging sie 2001 für zwei Jahre in die USA. An der New York University studierte sie „Art Administration“. Parallel machte sie ein Praktikum  in der bekannten New Yorker Galerie White Columns und war verantwortlich für den PR-Bereich und das Procurement des Fotografieclubs PPA – Pictorial Photographers of America.

Dies war der Ausgangspunkt ihres deutsch-amerikanischen Netzwerks für Kunst und Kultur.

Zurück in Berlin folgte 2003 sogleich ein – im Auftrag von C/O Berlin initiiertes – PR-Projekt für die Firma Canon. Es folgten die Tätigkeiten als Leiterin der Galerie Asperger und anschließend als Kunstmanagerin bei den Alexander Ochs Galleries Berlin|Beijing. Ihren bisherigen Erfahrungsschatz nutzte Nadine Dinter schließlich, um sich 2006 mit einer eigenen PR-Agentur selbstständig zu machen.

Alexander Platz (AP):
Frau Dinter, allein die Auflistung Ihrer Tätigkeiten würde dieses Interview sprengen. Danke, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit mir dieses Gespräch zu führen.

Nadine Dinter (ND):
Danke Ihnen. Ich freue mich sehr, dass wir über dieses aktuelle Thema sprechen.

AP:
In Berlin herrscht aller Orten Mangel an bezahlbaren Studio- und Atelierflächen. Wie empfinden Sie und Ihre Klienten diese Situation?

ND:
Da ich hauptsächlich mit Museen, Galerien und Sammlungen arbeite, bekomme ich eher durch Einzelgespräche mit KünstlerInnen und FotografInnen einen Einblick in die Situation.

Immerhin ist es ein brandaktuelles Thema und Berlin als Kunstmetropole kann sich dem natürlich nicht entziehen. Die Lage stellt für alle, direkt oder indirekt, mehr oder weniger, eine Belastung dar. Wenn früher erschwingliche Ateliermieten durch Immobilien-Haie in die Höhe getrieben und Künstler somit vertrieben werden, ist das ein Problem. Für die Kunstproduktion, den Kunststandort Berlin und für die Kunsttreibenden.

AP:
Was sind Ihrer Meinung nach geeignete Flächen für FotografInnen? Braucht überhaupt jeder ein Atelier?

ND:
Ich denke, dass die Notwendigkeit eines eigenen Ateliers auch von dem Genre abhängt, in dem man arbeitet. Das bedeutet, dass unter Umständen gar nicht jeder Fotograf ein Atelier benötigt.

Zum Beispiel fotografiert der kanadische Künstler David Drebin ausschließlich „on Location“ und macht sich dadurch unabhängig. Er bearbeitet seine Daten am Rechner oder schickt sie nach dem Shooting in die „Post Produktion“.

Auch Fotografen, die eher im Bereich „Editorial“ arbeiten, benötigen eher selten ein eigenes Studio, da sie entweder beim Kunden, am Set oder in einem Mietstudio agieren.

Gefühlt sind FotografInnen somit in einer „besseren“ Lage als andere bildende Künstler, wie z.B.  BildhauerInnen oder MalerInnen, denn sie können flexibler handeln.

AP:
Durch Ihre Tätigkeiten haben Sie ja Erfahrungen und Kenntnisse aus den USA. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade New York ein sehr teures Pflaster ist.
Wie gehen FotografInnen dort mit dem Thema um?

ND:
Meine Zeit vor Ort liegt ja leider schon etwas zurück. Trotzdem habe ich einen gewissen Einblick und Feedback durch die amerikanischen FotografInnen erhalten, mit denen ich aktiv arbeite.

Sie arbeiten entweder „On-Location“, in Mietstudios oder fotografieren während ihrer Reisen, wie z.B. der New Yorker Fotograf  Christopher Makos

Der in L. A. basierte Fotograf Greg Gorman ist hingegen eine Ausnahme, da er sein eigenes Day-Light Studio unterhält. Es stammt allerdings noch aus der Zeit seiner kommerziellen Arbeit für internationale Blockbuster-Produktionen in Hollywood im Bereich Film und Musik. Heutzutage nutzt er es primär für seine eigenen freien Projekte + seine beliebten Workshops.

Was aber Ihre Ausgangsfrage und die Lage in New York angeht, so war diese Stadt der Ausgangspunkt der Gentrifizierung. Die Besserverdienenden entdeckten die großräumigen Lofts für sich und zogen sukzessive in die angestammten Künstlerviertel. Dann folgten Firmen, Boutiquen und die gesamte Infrastruktur wie Restaurants, Bars und Hotels. Das führte zur Mietpreisexplosion und die Künstler mussten weichen.

AP:
In der Bundesrepublik hat die Kunst als Teil der „Freien Meinungsäußerung“ eine starke verfassungsrechtliche Stellung und wird auch staatlich durch Förderungen unterstützt. In meinem vorangegangenen Interview wurde deutlich, dass die Berufsverbände und Aktionsbündnisse auch umfangreiche Forderungen an den Staat, die Verwaltung und Vermieter stellen.

Wie sind in diesem Punkt Ihre Erfahrungen aus den USA? Welche Förderungen gibt es dort?

ND:
Es gibt zahlreiche renommierte Firmen, die die großen Museen der USA und deren Aktivitäten unterstützen und sogenannte „Grant Programs“ oder „Artist in Residency-Programme“, die für Künstler auf Bundesebene oder sogar, wie im Falle der Villa Aurora (L.A., in Kooperation mit dem Thomas Mann House e.V. ), auf internationaler Ebene ausgeschrieben werden.

Einen aus der Verfassung abgeleiteten Anspruch gibt es in den Vereinigten Staaten, soweit ich weiß, nicht. Die einzige staatliche Kulturförderungseinrichtung der USA ist der 1965 gegründete National Endowment for the Arts, der mit Hilfe eines jährlichen Budgets von 120 Mio. USD Stipendien an junge Künstler auf Bundesebene vergibt und bestimmte Projekte über einen begrenzten Zeitraum unterstützt. Auch der älteste Non-Profit-Art Space White Columns (NYC) unterstützt aufstrebende Künstler, in dem diese dort ihre erste Solo-Show erhalten und im Rahmen der Annual Benefit Action einer breiten Sammlerschaft vorgestellt und vermittelt werden.

AP:
Wie sehen Sie diese Anspruchshaltung der deutschen KünstlerInnen und deren Verbände gegenüber dem Staat und der Verwaltung im Vergleich zu Ihren Erfahrungen in den USA?

ND:
Zum einen kann ich natürlich verstehen, dass man als Künstler einen freien Kopf für seine Kunst braucht, auf der anderen Seite finde ich diese fordernde Haltung jedoch etwas irritierend. Künstler zu werden erfolgt ja nie „aus Versehen“, sondern üblicherweise nach reiflicher Überlegung und einer bewussten Entscheidung folgend.

In den USA würde diese Einstellung wahrscheinlich auch auf Verwunderung stoßen. Hier ist es ganz üblich, sich einen sogenannten „Brot-Job“ zu suchen, um die eigene künstlerische Tätigkeit finanzieren zu können. Auch das Networking und der Austausch von unterschiedlichen Kompetenzen aus dem Bekanntenkreis zur eigenen Unterstützung funktioniert meiner Erfahrung nach in vielen Fällen besser als in Deutschland. Natürlich entscheidet immer der Einzelfall und das Individuum – aber insgesamt denke ich, dass man sich nicht allzu sehr von der externen Unterstützung abhängig machen sollte.

AP:
In den USA gibt es in Kunstkreisen eine starke Mäzen Beteiligung.

Nehmen wir als Beispiel die Zusammenarbeit der Chefredakteurin der amerikanische Vogue Anna Wintour als Kuratorin des Metropolitan Museum of Art in New York und Gründerin des „CFDA/Vogue Fund“, um bekannte und unbekannte Designer zu fördern. Anna Wintour hat auch die Arbeit von Diana Vreeland weitergeführt und die „MET Gala“ perfektioniert, um Millionen Dollar für das Museum zu organisieren. Gibt es in Berlin oder Deutschland eine vergleichbare Situation?

ND:
Als ein Beispiel fällt mir der ehemalige Berliner Mode Salon ein, den die deutsche VOGUE von 2015 – 2019 veranstaltete, „um aufstrebenden deutschen Designerlabels im Rahmen der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin eine Bühne für ihre Kollektionen“ zu geben.  Hier ging es weniger um finanzielle Unterstützung, als um den Aufbau von Kontakten und erhöhte Sichtbarkeit für die Designer und ihre Kreationen.

Im Bereich Kunst wäre sicherlich die berühmte PIN Auktion ein gutes und vergleichbares Pendant; bei dieser Auktion stellen ausgesuchte KünstlerInnen um die 60 Werke (Stand: Herbst 2019) zur Verfügung, die im Kreise eines erlesenen Publikums (man spricht von „800 geladene Gäste aus Politik und Wirtschaft, Kultur, Kunst und Medien“) versteigert werden. Mit dem Erlös werden die von der Münchner Pinakothek der Moderne geplanten Kunstankäufe ermöglicht. Das Ganze ist natürlich auch allseits beachtetes Society-Event, bei dem zwar die Roben weniger extravagant, aber die Ticketpreise umso stattlicher ausfallen.

AP:
Was würden Sie Berliner – oder generell hier ansässigen – KünstlerInnen raten, um neben ihrer künstlerischen Arbeit auch kommerziell erfolgreich zu werden?

ND:
Wie gesagt, gehe ich durch meinen Beruf sehr sachbezogen und pragmatisch an das Thema heran.

Als erstes sollte „KünstlerInn“ den monatlichem Bedarf (Budget für Lebenshaltungs- und Materialkosten) prüfen.

Der nächste Schritt ist die Frage, wie viel Fläche man für die eigene kreative Arbeit benötigt.  Die Atelierfrage hatten wir am Anfang schon näher besprochen. Vielleicht macht es Sinn, sich mit Kollegen eine Lagerfläche zu teilen, die anfallende „Büroarbeit“ in einem „Co-Working Space“ erledigen und sich für die Shootings ein externes Studio anzumieten?! Die in Berlin-Mitte gelegenen CAPITIS Studios bieten z.B. die Möglichkeit, sich ein eigenes Atelier zu sparen und trotzdem höchst professionell zu arbeiten. Dort kann man nicht nur das gewünschte Shooting durchführen, sondern auch gleich die entsprechenden Meetings und Präsentationen abhalten, Events veranstalten und auf den Galerie-eigenen Veranstaltungen Gleichgesinnte treffen.

Daran anschließend sollte man sich einen Brotjob suchen. Und auch die Unterstützung einer Foto-Agentur, die die Werke über ihr Netzwerk bewirbt und die Leistungen des Fotografen vermarktet, ist in vielen Fällen zu empfehlen.

Letztendlich geht es darum, eine gute Netzwerkarbeit zu machen. Gezielt auf geeignete Veranstaltungen gehen und dort ins Gespräch kommen. Kontaktdaten austauschen, Verbindung halten, Kooperationsmöglichkeiten ausloten.

Wichtig ist es immer, sympathisch, konzentriert und zielbewusst aufzutreten.

Im Rahmen dieses Netzwerkes sollte es immer möglich sein, erfahrene KollegInnen um Rat zu fragen. oder um Unterstützung bitten. Denn keiner kann alles und nur, wenn man im Team arbeitet, können neue Impulse, Ideen und Kreationen entstehen.

Summa Summarum: Nicht alles auf eine Karte setzen. Die eigene Strategie im Auge behalten.

AP:
Danke für dieses spannende Gespräch!

ND:
Sehr gerne!

Fazit:

Während ich hier in meinem Studio sitze und das Interview durchgehe, bemerke ich die vielen Parallelen in den Gedanken und Erfahrungen meiner GesprächspartnerInnen. Aber auch einige Unterschiede, was die Rolle des Staates betrifft.

Wenn ich die aktuelle Berichterstattung über die geplante Mietpreisbremse des Berliner Senats lese und die Bauvorschriften mit all ihren Anforderungen an umweltgerechtes Bauen dagegenhalte, frage ich mich immer wieder, wie Bauherren – insbesondere kleinere – einerseits diese Kosten aufbringen können und andererseits „günstige oder vergünstigte Künstlerateliers“ anbieten sollen.

Die Ausführungen von Nadine Dinter über die USA und dem amerikanischen Fokus auf das künstlerische Individuum, lassen mich immer mehr die vage Idee der Bildung einer Mischform sich selbst finanzierender Kollektive im künstlerischen fotografischen Bereich entwickeln.

Ich bin gespannt, wohin uns die Reise meines nächsten Interviews führt.

Alexander Platz